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DIE VORNEHMEN DER STADT ÖFFNEN IHRE AUGEN NUR HALB
UND SEHEN GAR NICHT GENAU HIN

(Yoshida Kenko, Betrachtungen aus der Stille, Tsurezuregusa, Japan, 14. Jhdt.)

PLAKATE tauchen überall dort auf, wo man sie erwartet: an Baustellen, an speziellen Säulen und Wänden, an stark befahrenen Straßen, in zugigen Hallen und Gängen, an Relaiskästen und besetzten Häusern. Nur wenige schaffen den Weg in den privaten Wohnbereich. Denn Plakate sind in erster Linie öffentliche Bilder, die man sich gar nicht erst anzueignen braucht, da sie ganz auf den Augenblick ausgerichtet sind: aufs Verpuffen. Man sucht sie nicht auf. Eher stolpert man über sie, wenn man seinen gewöhnlichen Geschäften nachgeht. Sie stellen sich in den Weg, schnalzen mit der Zunge und können einen bis in den Traum verfolgen. Indem ihre Imperative im Modus der Verführung vorgetragen werden, tragen sie zur Erotisierung der urbanen Oberfläche bei. Schon der aus den Urtagen der Werbung überkommene Spruch "Esst mehr Äpfel" klingt nicht mehr ganz unschuldig. Neben seiner paradiesischen Einfalt verrät sich in ihm schon das Raffinement plakativer Sinnlichkeit: die vollkommene Exponierung des Gegenstands, als gäbe es nichts außer ihm. Für einen Moment schrumpft die erfahrbare Welt auf die Größe eines Apfels, der zum Verzehr bestimmt ist. Eine schreiende Ungerechtigkeit am Rest der Welt. Plakate und alles, was von einer ähnlich unübersehbaren Deutlichkeit ist, sind immer irgendwie unverschämt. Ihrer Aufdringlichkeit erwehrt man sich am besten dadurch, dass man sich ihre Vergänglichkeit klarmacht und so etwas wie Mitleid mit ihnen empfindet (und vielleicht ein Pfund Äpfel zu viel mit nach Hause bringt). Oder aber man kommt gerade umgekehrt auf den Geschmack, entdeckt, wie vieler Effekte man sich mit ihrer Hilfe entledigen kann - und macht selber welche.

Harry Walter in: ABR Plakativ, Stuttgart 1992

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